Die Älteren werden sich erinnern: Telefone hingen früher einmal an einem Kabel, das sie mit der TAE-Steckdose in der Wand verband. Sie wurden abgelöst von Schnurlostelefonen, die nur noch zum Stromtanken an eine Ladestation angedockt werden mussten. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Mobiltelefone, Wlan etc. – wo immer man im Bereich der Elektronik auf eine Kabelverbindung verzichten kann, ersetzt man sie durch kabellose Technologien. 

Wieso also nicht auch beim Laden von E-Autos?

Genau: Wieso denn nicht? MAHLE hat eine Antwort auf diese Technikfragen formuliert und ist auf dem Weg, der Automobilindustrie eine induktive, kontaktlose, standardisierte Ladelösung für die Großserie anzubieten. Prinzipiell ähnelt diese Lösung dem induktiven Laden eines Mobiltelefons über eine Kontaktfläche.

Der Unterschied liegt darin, dass ein E-Fahrzeug bedingt durch seine Bodenfreiheit kontaktlos mit Strom geladen werden muss.

Energietransfer über ein Magnetfeld

Das funktioniert so: Das Fahrzeug, egal ob tiefergelegter Sportwagen, Mittelklassekombi oder hochbeiniger SUV, wird präzise über eine Ladeplatte am Boden positioniert. Am Unterboden des Fahrzeugs befindet sich ebenfalls eine Ladeplatte für die Energieübertragung. Im Inneren der Ladeplatten ist je eine Spule verbaut. Die Bodenspule baut ein Magnetfeld mit einer Wechselspannung und einer Frequenz von 85 Kilohertz auf. Durch dieses Magnetfeld wird dann in der Empfängerspule eine Spannung induziert und durch die Leistungselektronik die Batterie des Fahrzeugs geladen. Der vertikale Abstand zwischen den beiden Systemkomponenten beträgt bei konventionellen Pkw zwischen 14 und 21 Zentimetern. Der Energietransfer ist sehr robust gegenüber Umwelteinflüssen und wird beispielsweise nicht beeinträchtigt, selbst wenn die Bodenplatte mit Laub oder Schnee bedeckt ist.

Wirkungsgrad wie beim kabelgebundenen Laden

„Mit dieser Präzision erreichen wir eine Übertragungseffizienz von 92 Prozent und mehr und sind auf Augenhöhe mit dem Laden per Kabel“, so Lämmle. DIPS lässt sich in Serienfahrzeugen in die zunehmend verbreiteten automatisierten Einparksysteme integrieren oder wird als Assistenzsystem für den Fahrer mit Navigation über das Fahrzeugdisplay verfügbar sein. Wenn Systeme interoperabel und herstellerübergreifend funktionieren, können sie in Großserie skalieren und zu attraktiven Preisen angeboten werden. Damit wird die Standardisierung zu einem zentralen Thema und MAHLE ist hierzu im Sommer 2024 der Durchbruch gelungen: Das amerikanische Normungsinstitut SAE International, vergleichbar mit der International Organisation for Standardization (ISO) / International Electrotechnical Commission (IEC), hat das MAHLE-System als die globale Standardlösung für kabelloses Laden ausgewählt.

Standardisierung öffnet die Tür zur Vermarktung

„Für uns war das der letzte und entscheidende Schritt auf dem Weg zur Industrialisierung“, sagt Christopher Lämmle. Fahrzeug- oder herstellerspezifische, proprietäre induktive Ladesysteme in kleinen Serien gab es bereits im Markt. Des Weiteren gibt es Systeme beispielsweise für automatisierte Flurförderzeuge oder Stapler. 

Bedeutet: ein System, viele Anwender. Er schätzt, dass in etwa drei Jahren nach der Publikation des Standards von der Automobilindustrie erste Systeme angeboten werden. „Das ist erfahrungsgemäß die Zeitspanne, welche zwischen der Definition eines Standards und der praktischen Anwendung vergeht.“

Sicherheit inklusive

MAHLE arbeitet bei seinem induktiven Ladesystem unter anderem mit Siemens zusammen. Siemens entwickelt die fest installierte Ladeinfrastruktur, etwa in privaten Garagen, in Parkhäusern oder an öffentlichen Ladepunkten, MAHLE entwickelt die Fahrzeugkomponente, die auch als Vehicle Assembly bezeichnet wird. Das System besteht im Wesentlichen aus drei Elementen: der Leistungselektronik für die Energieübertragung, den Assistenzsystemen, speziell für die Positionierung, und den integrierten Sicherheitssystemen. Sie erkennen beispielsweise, ob sich ein Lebewesen, sei es ein krabbelndes Kind, ein schnüffelnder Hund oder eine neugierige Katze, dem Ladesystem nähert und unterbrechen daraufhin die Energieübertragung.

Einstieg mit 11 kW Ladeleistung für den Pkw-Markt

Die Nutzer müssen sich um den Ladevorgang nicht aktiv kümmern: Sobald sich das Fahrzeug dem Ladepunkt nähert, interagieren die beiden Systemkomponenten, und beim Verlassen des Fahrzeugs beginnt automatisch die Energieübertragung. „Wir industrialisieren im ersten Schritt ein System mit 11 kW Ladeleistung für den Bereich Light Duty, also für Pkw“, beschreibt Christopher Lämmle die weiteren Schritte. Das entspricht der Leistung heutiger AC-Wallboxen. „Für die erste Phase der Verbreitung im Markt rechnen wir damit, dass Fahrzeuge parallel zum induktiven System weiterhin über eine separate Komponente zum schnellen DC-Laden per Kabel verfügen.“ Das geschieht heute üblicherweise mit einer Leistung von bis zu 200 oder 350 kW. 

In Zukunft weit höhere Leistungen möglich

Technisch sind auch 22 kW Ladeleistung problemlos mit induktiven Ladesystemen darstellbar. In der weltweiten Forschung und Entwicklung wird schon an dreistelligen kW-Leistungen gearbeitet, für Schwerlastfahrzeuge sogar bis in den Megawatt-Bereich. MAHLE konzentriert sich zunächst auf die Gegenwart mit 11 kW und hohen Wirkungsgraden. Beim dynamischen induktiven Laden, also dem Stromtanken während der Fahrt, ist MAHLE derzeit (noch) nicht aktiv. „Dieses Feld ist technologisch interessant“, sagt Christopher Lämmle, „doch eine praktische Anwendung sehen wir in dieser Dekade für den Pkw-Bereich noch nicht.“  

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